Filmkritik: „Die Jagd“

Erzieher Lucas (Mads Mikkelsen) führt ein beschauliches Leben in seinem dänischen Heimatort. Nachdem die hiesige Schule geschlossen wurde, an der er als Lehrer unterrichtet hat, hat er eine Stelle als Erzieher im Kindergarten des Ortes übernommen. Mit vielen Eltern der betreuten Kinder verbindet ihn eine jahrelange Freundschaft. Der getrennt lebende Lucas führt ein unbescholtenes Leben, ist überall beliebt und freut sich auf die Weihnachtszeit, weil dann sein 14jähriger Sohn Marcus zu ihm ziehen wird. Die kleine Klara, Tochter von Lucas’ bestem Freund, himmelt ihren Erzieher an und drückt Lucas einen Kuss auf den Mund. Er weist sie behutsam aber deutlich darauf hin, dass sie solche Küsse nur ihren Eltern zu geben habe. Aus Enttäuschung und Ärger sagt Klara kurz darauf einer anderen Erzieherin, dass Lucas ihr seinen erigierten Penis gezeigt hätte. Eine Hexenjagd beginnt.

Kindesmissbrauch ist ein Thema, das einem sowohl Wut als auch einen dicken Kloß im Hals beschert. Dieses Verbrechen macht einen generell schon fassungslos. Doch Regisseur Thomas Vinterberg versteht es diesen Kloß im Hals noch wesentlich größer zu machen, indem er einen sympathischen und unbescholtenen Mann diesem Verdacht aussetzt. Für den Zuschauer ist von Beginn an klar, dass sich der Verdacht nicht bewahrheiten: Lucas ist unschuldig und das, was man gemeinhin einen guten Menschen nennt. Wie ihm Stück für Stück der Boden unter den Füßen weggerissen wird, ist hier in allen Belangen sehr realistisch dargestellt. Der Film zeigt sowohl, aus was für einer unscheinbaren Situation ein so grauenhafter Vorwurf entstehen kann, als auch, wie schwer es ist, diesen Makel wieder los zu werden.

Die Handlung folgt einer fast tödlichen Logik: erst steht nur ein Verdacht im Raum, der nicht bewiesen werden kann. Doch gerade bei diesem Verbrechen schwingt im Hinterkopf immer auch die Aussage “Das hätte ich von ihm niemals gedacht!” mit. Und so werden auch hier schnell harmlose Symptome in der Form umgedeutet, dass sie den hanebüchenen Vorwurf dann doch untermauern. Und auch für Klaras Aussage, dass sie sich das alles nur ausgedacht habe und Lucas nichts Böses gemacht habe, wird schnell eine Erklärung gefunden, die wunderbar das eigene Weltbild wieder komplettiert. Dass ein ehemals bester Freund so öffentlich an den Pranger gestellt wird, sein Leben komplett zerstört wird, ist eben ein Kollateralschaden, und überhaupt: selber schuld!

Mads Mikkelsen hat für seine Rolle des Lucas 2012 bei den Filmfestspielen in Cannes den Darstellerpreis erhalten. Meiner Meinung nach absolut verdient. Zu Beginn des Filmes braucht es nur wenige Szenen, um Lucas als einen liebenswerten Menschen darzustellen, der engagiert und hilfsbereit ist. Dass er eben kein Soziopath, sondern eine echte Stütze der Gesellschaft ist, macht das folgende umso verstörender.

Und genauso lässt einen dieser Film zurück, mit dem vermutlich besten Ende, das dieser Film haben könnte, um wirklich von den ersten bis zur allerletzten Minuten für den schon erwähnten dicken Kloß im Hals zu sorgen.

Fazit: “Die Jagd” ist wohl der denkbar größtmögliche Gegensatz zu einem Feel-Good-Movie, aber auch für so etwas ist das Medium Film da. Ein sehr intensives Drama, das durch rundweg gute Darstellerleistungen und ein gutes Erzähltempo zu überzeugen vermag. Auf meinem Letterboxd-Profil hat er sich ohne Umschweife sein “Herzchen” als besonders sehenswerter Film in der kleinen Runde meiner Lieblingsfilme verdient.

Wertung: 5/5

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